Eine kleine Kulturgeschichte
Maria-Himmelfahrt am 15. August ist der Auftakt zur wichtigsten Kräutersammelzeit des Jahres. Pflanzenteile, die jetzt gepflückt werden, übertreffen alle anderen Kräuter an Kraft – mit Ausnahme der Johanniskräuter, die zur Sommersonnenwende geerntet werden. Der Tag des Hochfestes der katholischen und orthodoxen Kirche ist in Bayern, im Saarland und in Österreich heute noch ein Feiertag. Besonders in ländlichen Gegenden ist der Brauch der Kräuterweihe an Mariä Himmelfahrt sehr lebendig. Blumen aus dem Garten, Heilkräuter, Getreideähren und Früchte werden zu einem Strauß gebunden, auf den Altar gestellt und mit einem Segensgebet geweiht. Die Sträußchen helfen dann beispielsweise als Weihrauch oder aromatischer Kräutertee durch das ganze Jahr.
Das auch „Frauentag“ genannte Hochfest mit der Kräuterweihe vereint Tradition und Frömmigkeit, Volksglaube und zeitnahe Religiosität, verknüpft mit der Notwendigkeit, Werterhaltendes zu bewahren. Es ist immer noch mit sehr viel Magie verbunden, ein solches Kräuterbüschel zusammenzustellen. Denn die geweihten Pflänzchen sollen gegen alle möglichen Verzauberungen und Krankheiten helfen, aber auch für Eheglück, Kindersegen und vieles mehr sorgen.
Bezaubernder Brauch
Dass die schönen Sträuße wohltuende Wirkungen haben, verwundert nicht, denn zu den bevorzugten Sorten gehören hochkarätige Heilkräuter. Auch wenn es von Ort zu Ort Unterschiede gibt, meist gehören in das magische Kräuterbüschel Arnika, Baldrian, Beifuß, Frauenmantel, Kamille, Johanniskraut, Liebstöckel, Pfefferminze, Schafgarbe, Wermut, Margerite, Rainfarn, Thymian, Wegwarte und als Zepter in der Mitte meistens die Königskerze. Mancherorts setzte man als Krönung des Straußes eine Lilie und eine Rose hinein, beides eine Huldigung an die Jungfrau und Gottesmutter Maria.
Sieben verschiedene Kräuter müssen es mindestens sein. Man kennt auch die 9er, 12er, 15er und 19er Büschel – und sogar 66er, 72er, 77er oder 99er. Wichtig sind die vorgeschriebenen „magischen“ Zahlen. Die Dreizahl ist seit alten Zeiten bei vielen Völkern heilig; die 9 ist eine verstärkte 3 und die 7 ist vor allem in der jüdisch-christlichen Tradition üblich.
Getrocknete Glücksbringer
Die dicken Kräuter-Bündel werden nach der Weihe kopfüber zum Trocknen aufgehängt. Ist der Strauß schön trocken, zupft man einige Kräuter ab, zerreibt sie und vermischt sie gern mit Weihrauch und räuchert alles zusammen. Besonders heilkräftig soll diese Mischung sein, wenn man in einem Krankenzimmer damit räuchert.
Die Wurzeln der Kräuterweihe reichen weit bis zu den Ur-Mysterien der Menschheit zurück. Zuerst wurden mit einem Kräuterstrauß Natur- und Erntedankfeste zu Ehren verschiedener Götter gefeiert. Sie waren auch Lebensruten, deren Berührung die fruchtbarkeitsspendende und heilende Kraft der Pflanzen auf die Menschen übertragen sollte.
Hilfreich sollten die geweihten Kräuter, vor allem als Tee, gegen mögliche Verzauberung des Viehs, Gewitter, Krankheit, für eine gute Ernte, Eheglück und vieles mehr sein. Um 745 n. Chr. wurde erst die Kräuterweihe verboten, später unter den Segen Marias gestellt, seitdem feiert man die Kräuterweihe an Maria Himmelfahrt.
Die katholische Kirche sieht die Kräuterweihe vor allem als Achtung vor der Schöpfung und die Heilkraft der Kräuter als Symbol für die Zuwendung Gottes an den Menschen. Der Bezug zu Maria entstand durch Legenden aus der Frühzeit der Kirche. Sie schildern, wie der Gottessohn seine Mutter in den Himmel aufgenommen hat und die Apostel beim Öffnen des Grabes nur noch Rosen vorgefunden haben.
Heute sind klassische Kräuterteemischungen als vielseitiger Genuss sehr beliebt. Ob geweiht oder nicht – positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben sie auf jeden Fall.